David Schriffl: Bericht aus den diplomatischen Archiven

Am Samstag, den 18. Feber 1956 vermeldet die APA die feierliche Eröffnung des Österreichischen Kulturinstitutes in London. Nach Rom und Paris ist es das dritte seiner Art. Anwesend ist auch der zuständige Bundesminister Heinrich Drimmel. Kurz nach dem Abschluss des Staatsvertrages von Wien und dem Beitritt Österreichs zu den Vereinten Nationen will man international wieder wahrgenommen werden; wahrgenommen werden als unabhängig mit einem eigenen Profil, sowohl politisch als auch kulturell. Für das nun neutrale Österreich spielt die Kultur bei der Definition des neuen Selbstbildes eine entscheidende Rolle. Die Vermittlung dieses Selbstverständnisses war und ist bis heute ein wesentliches Element der Außenpolitik.

Basis für die Errichtung des Austrian Institute war das Kulturabkommen zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich vom 12. Dezember 1952. Bereits 1954 wurden konkrete Planungen für ein solches Institut in London angestellt, das eigentlich schon 1955 hätte eröffnet werden sollen.[1]

Der Volltext der Rede von Minister Drimmel bei der Eröffnung 1956 ist uns nicht überliefert. Zitiert wird er in der österreichischen Nachrichtenagentur aber nicht nur mit Äußerungen zur Kultur und der Ankündigung, dass bald weitere Kulturinstitute in New York und im mittleren Orient eröffnet werden würden. An erster Stelle wird gemeldet, dass Österreich bald zwei Atomreaktoren besitzen würde, einen für die Forschung und einen zur Stromerzeugung. Wir wissen heute, wie die Sache ausgegangen ist: der Forschungsreaktor im Wiener Prater ist seit Jahrzehnten und bis heute in Betrieb, die Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf hat dessen Inbetriebnahme verhindert und den Weg zum Atomsperrgesetz geebnet. Die Vorhersage über in der Zukunft sich vertiefende Kulturbeziehungen zwischen Österreich und dem UK hat sich im Gegensatz dazu erfreulicherweise als zutreffender erwiesen.

A propos 18. Feber: Das mit den Daten ist ja in der Geschichte so manches Mal eine heikle Sache, vor allem, wenn sich mehrere Quellen widersprechen. Denn während also die APA den 18.2. angibt, sprechen die ersten internen Berichte der österreichischen Botschaft in London vom 16.[2] und ein anlässlich des 10-jährigen Jubiläums 1966 erschienener Artikel in der Österreichischen Musikzeitschrift vom 26.2.[3] Doch in einem sind sich alle Quellen einig, nämlich über das große Interesse an österreichischem Kulturschaffen in London und dem ganzen Vereinigten Königreich. In einer Art Résumé des ersten Halbjahres seines Bestehens schreibt die Birmingham Daily Post am 25. Juni 1956: „London‘s latest foreign centre, the Austrian Institute at Rutland Gate, which was opened in February, has just ended its first season’s activities. I am told that interest in Austrian culture has been so intense that the authorities have had to limit the audiences at lectures and concerts.”[4]

Auf dem Programm standen Musikdarbietungen ebenso wie wissenschaftliche Vorträge und literarische Lesungen. Neben der Organisation von Ausstellungen war auch bereits in dieser Frühzeit das Stipendiatenprogramm des Instituts ein wichtiges Mittel zur Förderung des kulturellen Austauschs. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens vermittelte es 134 britische Studenten an österreichische Hochschulen. Umgekehrt nutzten 74 österreichische Studenten und 22 Gastlehrer diese Möglichkeit.

Beim Rückblick des österreichischen Botschafters in London auf das erste Halbjahr des Bestehens des Kulturinstituts gesellten sich neben den teils etwas beengten Räumlichkeiten, unzuverlässigen österreichischen Künstlern, erratisch handelnden Chefs derselben in Wien und allzu kritischen britischen Musikkritikern noch andere praktische Probleme, die einer Lösung harrten. Auch wenn heute während der Pandemie der persönliche Austausch im Rahmen von Kulturveranstaltungen fast schon wie aus einer mythischen Vergangenheit stammend anmutet, ist und bleibt er doch ein Herzstück der Auslandskulturarbeit. Das Problem damals: Mangels diplomatischem Status des Leiters Doz. Dr. Ritschl konnte österreichischer Wein nicht zollfrei eingeführt werden, was den Botschafter ebenso besorgt wie bestimmt schreiben ließ: „Ohne Alkohol läßt sich aber die im Anschluß an die Veranstaltungen so notwendige Geselligkeit hier nicht erreichen.“ Die höheren Kosten müssten daher unbedingt in Kauf genommen werden, um den Erfolg der Programme nicht zu gefährden. Trotzdem war man höchst zufrieden, mit dem Zuspruch des Publikums und seinem Interesse am persönlichen Austausch mit den Künstlern. „Erst die hier zum Durchbruch gelangende heiter-unbeschwerte Stimmung, zu deren Zustandekommen die richtig österr. Atmosphäre des Hauses zweifellos das Ihre beiträgt, ermöglicht es vielen brit. Gästen, wirklich aus sich herauszugehen, was sie instinktiv alle suchen.“[5] (Hervorhebung im Original)

Berichte aus diplomatischen Archiven zeigen abschnittsweise nicht selten fast ethnographische Qualitäten!

Der eröffnende Minister Drimmel leitete damals allerdings das Unterrichtsministerium. Diesem wurden die neuen österreichischen Kulturinstitute und ihr Vermittlungsprogramm unterstellt. Da auch die österreichischen Vertretungsbehörden Kulturpolitik betrieben ergaben sich bald Diskussionen über die Abgrenzung. Ab 1974 wurden die österreichischen Kulturinstitute schließlich den Agenden des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten hinzugefügt.

Das Gebäude des damaligen Kulturinstitutes beherbergt auch heute noch das nunmehrige Österreichische Kulturforum London. Inzwischen hat es sich fraglos zu einem wesentlichen Pfeiler des kulturellen Austausches zwischen beiden Ländern entwickelt.

Beim Lesen der Berichte von damals ist mir ein Wort besonders aufgefallen: „Schallplattenvorführungen“. In Zeiten global und mobil ständig verfügbarer Streamingdienste wirkt die Vorstellung einer Gruppe von Kulturinteressierten, die gemeinsam andächtig einer Schallplatte lauscht, ebenso romantisch wie obsolet. Was aber damals wie heute unverändert geblieben ist, ist das gemeinsame grenzüberschreitende Interesse an Kunst und Kultur. Es gibt kaum etwas, das mehr verbinden und gegenseitiges Verständnis schaffen kann.

David Schriffl ist Leiter des Historischen Referats „Rudolf Agstner“ im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten

[1] Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik (im Folgenden ÖStA/AdR), BKA-AA, GZl. 329.249-INT/55, Zl. 329.312-INT/55, BMfU, Kulturinstitut London; Errichtung, 17. Jänner 1955.

[2] ÖStA/AdR, BKA-AA, GZl. 565.663-Kult/56, Zl. 11.286-A/56, Oesterr. Kulturinstitut London; Erfahrungsbericht, London, 23. Juli 1956.

[3] Österreichische Musikzeitschrift, Bd. 21, Heft 8, (1966) S. 412.

[4] Austrian Culture, Birmingham Daily Post vom 25. Juni 1956. Für die Recherche in britischen Zeitungsbeständen und die Bereitstellung des Ausschnittes wird an dieser Stelle Mr. Brian Sherwood von der British Library herzlich gedankt.

[5] ÖStA/AdR, BKA-AA, GZl. 565.663-Kult/56, Zl. 11.286-A/56, Oesterr. Kulturinstitut London; Erfahrungsbericht, London, 23. Juli 1956.

acf opening.jpg